Pressespiegel

Geschichte aus Frauensicht. Satu Blanc ist Schauspielerin, Historikerin und jetzt auch Theaterleiterin.

Basler Zeitung, 28. Oktober 2015
Text: Thomas Waldmann

Theater aus der Zeitschublade

Satu Blanc spielt in ihrem kleinen Theater »Lo Studiolo« grosse Geschichten

Die Sonne schickt ihre Strahlen durch das Westfenster, zwei Öfen versprechen auch für Winterabende Wärme im Gartenhaus am St.-Galler-Ring 160, hinter Wohnblöcken aus den 1930er-Jahren, neben der Bahnlinie ins Elsass. Scheinwerfer, Kostümteile über dem Geländer zur Kellertreppe, auf der Galerie ein altes Sofa – das frühere Künstleratelier ist jetzt ein Theater: »Lo Studiolo«.

Unter der Galerie prangt ein Schubladenkorpus. Satu Blanc, Schauspielerin, Historikerin, Leiterin und Seele ihres Theaters, weist bei unserem Besuch auf die Schubladen, aus denen sie für ihre Solostücke über historische Frauengestalten Requisiten ziehen wird, als »Sophia, Hüterin der Geschichten«; Sophia wird im neuen Stück »Christina von Schweden, Königin des Barocks«, das ab November gespielt wird, durch die Handlung führen. Die Zeitschublade ist reales Behältnis für Handschuhe, Fächer, Taschen und andere Dinge, die eine vergangene Zeit bedeuten, sowie Metapher. Satu Blanc will in eine andere Zeit entführen – sie für uns Heutige zum Sprechen bringen.

Rebellische Frauen

Satu Blanc kennt man seit ihren kostümierten Stadtführungen, auf die ab 2007 eigene Stücke folgten. Die Tochter einer finnischen Mutter und eines Westschweizer Vaters hatte es von Kindheit an zu Tanz und Theater gezogen. Als Sechsjährige trat sie in die Ballettschule des Theaters Basel ein, und sie genoss als Zuschauerin die Spoerli-Ära. Nach der Matura war sie neben dem Studium der Geschichte Hospitantin und Regieassistentin bei der Oper und trat in Märchen im Fauteuil auf. Schliesslich wurde sie Museumspädagogin, auch in Lenzburg, wo man Führungen in historischem Kostüm anbot. »Das müsste man doch auch in Basel machen können«, dachte sie; und so entstanden die ersten szenischen Stadtrundgänge in Basel.

Die Präsenz, den Einsatz der Körperhaltung – auch für verschiedene Figuren im gleichen Stück – hat sie beim Tanzen gelernt und immer weiter trainiert. Anderes schauspielerisches Handwerk erwarb sie sich durch Zuschauen, Zuhören, stetige Entwicklung. Inzwischen umfasst ihr Œuvre Frauen wie die rebellische Anna Sophia zur Zeit der Freiheitsbäume, die Gräfin Cagliostro (neben der Heimposamenterin Hanni), die »Spionin aus Rom« zur Zeit des Basler Konzils und andere Frauen, die sich wehren, nach Bildung streben oder ihrem Goldkäfig entfliehen wollen wie Lydia Welti-Escher. Es ist Geschichte aus Frauensicht, Theater, das auf recherchierten Fakten beruht und auf »Dichtung« – wie es hätte gewesen sein können. Aber auch dies aufgrund der Kenntnisse, die die studierte Historikerin ausweisen, die ihre Texte selbst schreibt. Und »vielleicht«, meint sie, spielt sie später auch mal eine Liebesgeschichte.

Drei Spielebenen

Von Beginn an arbeitete Satu Blanc mit der Regisseurin Christine Ahlborn, der Kostümbildnerin Käthi Fingerlin-Fust und dem Bühnentechniker Robi Pipoz. Die sind, nach Gastspielen in vielen kleinen Theatern, in Museen und Sälen in Basel und anderen Städten, auch am neuen Ort dabei. Seit Herbst 2014 ist sie im Studiolo aktiv. Neben der eigentlichen Spielfläche kann sie die Galerie und den Keller miteinbeziehen, hat also drei Spielebenen. Und rund 20 Plätze. Theaterbesucher werden vor dem Haus St.-Galler-Ring 160 abgeholt.

Umstrittene Königin

»Die Figuren kommen zu mir«, sagt Satu Blanc. Sie bewegt sich gedanklich in einer bestimmten Zeit, wartet, bis sich eine Gestalt gleichsam präsentiert, wie die der Christina, Königin von Schweden (1626–1689), die als unverheiratete, kunstund bildungshungrige und verschwenderische Monarchin bekannt geworden ist. Die Tochter des schwedischen Königs Gustav Adolf II., der im Dreissigjährigen Krieg fiel, wurde männlich erzogen, weigerte sich, zwecks Nachwuchsproduktion zu heiraten und dankte 1654 ab. Sie konvertierte – als Tochter eines Verfechters des Luthertums – zum Katholizismus und lebte 30 Jahre in Rom.

Der Barock, Prunk, Kunstsinn, sattes Leben, carpe diem, aber auch Armut und Memento mori – dies sind alles Antriebskräfte für Satu Blancs neues Stück; die Figur, mit der sie diese Elemente zum Leben erwecken kann, ist Königin Christina, um die sich Gerüchte und Geheimnisse ranken. Alles im intimen Rahmen des Theaters Lo Studiolo.