Pressespiegel

Basler Zeitung, 10. November 2018
Text: Thomas Waldmann

Exzentrisch und freiheitssüchtig

Satu Blancs neues Einfraudrama über Emmy Hennings

Eine schwarz ausgekleidete Bühne, ein Stuhl, eine Decke, ein Becher. Mehr braucht Satu Blanc für ihr »Poetisches Verhör« über die deutsche Schriftstellerin und Diseuse Emmy Hennings, Mitbegründerin des Cabaret Voltaire in Zürich, nicht. Premiere des neuen Stückes – wie so oft bei Satu Blanc über eine Frau, die sich ihren eigenen Weg erkämpfen muss – ist am Montag auf der Bühne des Kellertheaters im Lohnhof, wo sonst die Baseldytschi Bihni spielt.

Der weibliche Kosmos der Schauspielerin und Historikerin Satu Blanc wird immer grösser, vielfacher: Königin Christina, die Grenzwächterfrau in Riehen, die Gräfin Cagliostro, die spätmittelalterliche Spionin, Lydia Welti-Escher, Luthers Witwe – und jetzt also Emmy Hennings, Gefährtin und Frau des Dadaisten Hugo Ball, die über sich selbst schrieb: »Ich bin so vielfach!« Diese »Vortragskünstlerin, Tänzerin, Gottessucherin, todessehnsüchtige Lebenskünstlerin und Morphinistin«, deren poetisches Leben auch von Drogen, Prostitution und Gefängnisaufenthalten geprägt war, hatte Satu Blanc schon länger auf dem Radar. Geschrieben hat sie den Text im letzten Winter – aber jetzt drängt die Gestalt auf die Bühne.

Im Gefängnis

Die 1885 in Flensburg geborene und 1948 im Tessin verstorbene Emmy Hennings faszinierte ebenso durch Exzentrik wie durch Freiheitsdrang und Ausdauer. Gezwungen, im Münchner Kabarett Simplicissimus zu Beginn des Ersten Weltkriegs patriotische Lieder zu singen – und wegen Diebstahls einige Monate in Haft –, emigrierte sie 1915 mit Hugo Ball, der als Deserteur ein politischer Flüchtling war, nach Zürich. Sie nannte die Stadt in der neutralen Schweiz »schön« und »gediegen«, musste aber gegen Fremdenfeindlichkeit, Armut und Hunger kämpfen, kam auch in Zürich in Polizeigewahrsam, überstand Typhus und Spanische Grippe.

Bei all dem wollte sie eigentlich gar nicht auftreten im Kreis der Dada-Männer, sondern viel lieber schreiben. Nach frühen Gedichten schaffte sie es denn auch, mit autobiografischen Büchern (»Gefängnis«, 1919; »Das Brandmal«, 1920) für kurze Zeit eine der bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen zu werden. Ihre bekenntnishaften Romane, ein Genre, das in jener Zeit durchaus in Mode war, habe man mit Rousseau und Augustinus verglichen, wie Satu Blanc im Gespräch erzählt. Später publizierte Hennings Hugo Balls Texte, betreute dessen Nachlass (er starb 1927), und schrieb Legenden und Geschichten, die auch von ihrem Glauben geprägt sind – die Lutheranerin konvertierte zum Katholizismus.

In sich selbst gefangen

Diese Unbedingtheit des eigenen Wegs – und wenn er noch so hürdenreich und schwierig, alles andere als gradlinig war – will Satu Blanc in ihrem Stück deutlich machen. Es ist ein Monolog der Hennings in einem Zürcher Gefängnis, an den »Liebsten«, Hugo Ball, gerichtet, aber ebenso an die »Herren Richter«. Zunehmend soll sich die Szene im Gefängnis zur Studie über eine Frau entwickeln, die auch in ihrer eigenen Lebensauffassung gefangen ist. Eine gründliche Beschäftigung »mit der schönen Sprache, den romantischen Gedichten, in denen sie aber kein Blatt vor den Mund nimmt«, ist das Fundament für den Text, den Satu Blanc dann als Emmy Hennings auf der Bühne lebendig machen will – von deren Werk und Briefen gleichsam genährt, aber durchaus selbstständig.

»Ich möchte, dass man Emmy Hennings wieder liest«, sagt Satu Blanc und weist hin auf neuere Studienausgaben der Werke beim Wallstein-Verlag, die ihrer Autorenarbeit auch zugrunde lagen. Die schauspielerische Umsetzung hat sie mit der Regisseurin Dominique Lüdi erarbeitet.